Interessantes Interview zum Thema Suizid, Zunahme der Mortalität, etc.
https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-04/ ... of-despair
"ZEIT ONLINE: Herr Professor Deaton, in Ihrem aktuellen Buch, das Sie mit Ihrer Frau Anne Case verfasst haben, beschreiben Sie, wie viele weiße Amerikaner mittleren Alters ohne Hochschulabschluss vorzeitig sterben – durch Suizid, Alkohol oder Drogen, bedingt durch Verzweiflung über den sozialen Abstieg. Im Zuge der Corona-Krise haben sich schon zehn Millionen US-Amerikaner arbeitslos gemeldet. Befürchten Sie, dass solche Verzweiflungstode in der Arbeiterschicht jetzt zunehmen werden?
Angus Deaton: Natürlich wird die Corona-Krise die Lebenssituation vieler Arbeiter noch schwieriger machen. Wie Sie wissen, haben wir eine sehr hohe Corona-Infektionsrate in den Vereinigten Staaten, und das Social Distancing wird eine ganze Weile anhalten müssen. Insofern werden noch viel mehr Menschen ihre Jobs verlieren. Allerdings glaube ich nicht, dass deshalb zwangsläufig mehr Leute sterben werden.
ZEIT ONLINE: Das müssen Sie erklären.
Deaton: Selbst während der Weltwirtschaftskrise Anfang des 20. Jahrhunderts war die Sterblichkeit insgesamt niedrig. Es gab zwar mehr Suizide, aber es gab weniger Verkehrsunfälle, weil weniger Menschen auf den Straßen unterwegs waren. Ich habe erst heute wieder gelesen, dass die Krankenhäuser in New York vergleichsweise wenig Patienten ohne Coronavirus haben, weil zum Beispiel weniger Unfälle auf dem Bau passieren. Und auch die Pflege ist paradoxerweise in Zeiten der Rezession besser: Wenn die Wirtschaft boomt, haben es Altenheime oft schwer, Personal zu finden, weil sich dann alle besser bezahlte Jobs suchen. Geht es der Wirtschaft schlecht, nehmen mehr Leute Jobs in der Altenpflege an. Auch das mag einige Leben retten.
ZEIT ONLINE: Aber trotzdem befinden sich die USA am Rand einer schweren Wirtschafts- und Gesundheitskrise, die viele Ihrer Kollegen als noch fataler einschätzen als die Grippewelle nach dem Ersten Weltkrieg und den Börsencrash wenige Jahre später.
Deaton: Die Zustände, die wir beschreiben, haben sich über einen sehr langen Zeitraum angebahnt. Nicht kurzfristige wirtschaftliche Verwerfungen lassen die Menschen früher sterben, sondern langfristige. Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass der Tod aus Verzweiflung ein systematisches und sehr viel langwierigeres Phänomen ist als eine Rezession."
Ja, hier geht es vor allem um die Gesellschaft in den USA. Dennoch scheinen mir einige Überlegungen nicht so dumm zu sein. Ich sehe das auch so, dass es nicht so einfach ist, eine Kausalität zwischen Corona, Selbstmorden oder Gewaltanwendung herzustellen. Man entscheidet sich ja nicht plötzlich, Selbstmord zu begehen, weil man daheim rumsitzt. Da muss es schon mehrere Ursachen geben, die einen Menschen so weit treiben. Davon abgesehen ist es natürlich so, dass bei weniger Verkehr auch weniger Verkehrstote zu verzeichnen sind, etc.
Damit will ich in keinster Weise sagen, dass es ewig so weitergehen soll. Ich will nur kurz zu bedenken geben, dass die Krise eventuell tatsächlich ein Katalysator für bestimmte Leute sein wird, aber dass die Probleme schon vorher da waren. Demnach ist es etwas unfair, nur die Maßnahmen für bestimmte Entwicklungen verantwortlich zu machen.
Und nochmals, ich hoffe auch, dass es bald einigermaßen normal weitergeht.